Warum die Zeit plötzlich rennt – und was das mit dir zu tun hat
- Kilian Benno Moll
- vor 23 Stunden
- 3 Min. Lesezeit

Früher dauerte ein Sommer ewig. Weißt du noch? Diese scheinbar endlosen Tage voller Sonnencreme, Fahrräder, Eis und Geschichten, die man sich abends im Bett nochmal leise durch den Kopf rollen ließ. Die Stunden waren lang, die Wochen weit, und ein Jahr war eine ganze Welt. Heute blinzeln wir – und es ist schon wieder Montag. Wieder März. Wieder Weihnachten.
Man sagt, die Zeit vergeht schneller, wenn man älter wird. Aber das stimmt nicht ganz. Die Zeit vergeht nicht schneller. Wir erleben sie nur anders. Und das ist ein großer Unterschied.
Was früher so langsam war, war in Wirklichkeit voll – nicht leer
Als Kinder lebten wir in einer Welt voller „erster Male“. Der erste Schultag. Das erste Mal allein Bus fahren. Das erste Mal verliebt. Alles war ein bisschen aufregend, ein bisschen unheimlich – und genau deshalb so lebendig.
Das Gehirn liebt Neues. Es liebt Überraschung, Unvorhersehbarkeit, Neugier. Wenn etwas neu ist, speichert es sich tiefer ab – mit mehr Farben, mehr Gerüchen, mehr Gefühl. Deshalb erinnern wir uns so gut an Erlebnisse aus unserer Kindheit oder Jugend: Es war einfach mehr los in uns.
Heute passiert auch viel. Aber anders. Vieles wiederholt sich. Wir machen ähnliche Wege, ähnliche Gespräche, ähnliche Gedanken. Und was sich wiederholt, wird vom Gehirn nicht mehr als „besonders“ markiert. Es verschwindet nicht – aber es verblasst. Und das erzeugt das Gefühl: Die Zeit rast. Dabei ist sie nur weniger greifbar geworden.
Ein Jahr ist nicht gleich ein Jahr
Rein rechnerisch ist ein Jahr für ein Kind ein großer Anteil seines Lebens. Für einen Erwachsenen ist ein Jahr ein Bruchteil, ein kleiner Baustein in einem ohnehin schon langen Bauwerk. Und je kleiner ein Anteil wirkt, desto weniger Gewicht bekommt er gefühlt.
Deshalb ist ein Jahr mit 10 eine Ewigkeit – und mit 50 gefühlt ein paar Augenblicke. Das nennt man „Proportionalität der Zeit“. Klingt trocken, ist aber eigentlich ziemlich tröstlich. Es heißt nämlich: Du bist nicht komisch. Du wirst nur älter. Und dein Blick auf Zeit verändert sich. Das ist normal. Und sehr menschlich.
Was du tun kannst, wenn du dich verloren fühlst in diesem Tempo
Es geht nicht darum, wieder Kind zu sein. Aber darum, etwas zurückzuholen: die Fähigkeit, zu staunen. Und Neues zu wagen. Dein Gehirn wacht auf, wenn du Dinge tust, die du noch nie gemacht hast. Wenn du über deinen Alltag hinausspürst. Wenn du nicht immer nur „funktionierst“, sondern auch mal spürst: Ich bin lebendig. Und das hier bleibt vielleicht.
Du musst dafür nicht um die Welt reisen. Du kannst neue Erinnerungen schaffen, ohne das Land zu verlassen. Du kannst einfach:
• eine neue Straße gehen• einen Brief schreiben, den du nie abschickst• ein Lied aufdrehen, das du als Jugendlicher geliebt hast• etwas kochen, das du nicht kennst• jemandem zuhören, der dir etwas erzählt, das du nicht erwartet hast
Die Zeit spürst du dort, wo du nicht wegschaust
Wenn du dir eine Pause gönnst – eine echte –, dann beginnt etwas Magisches. In der Stille wird der Moment wieder sichtbar. Der Geschmack von Kaffee. Der Blick durchs Fenster. Ein Lachen, das bleibt. Und genau das macht den Unterschied: Nicht die Dauer. Sondern die Tiefe.
Achtsamkeit ist kein Trend. Es ist ein Werkzeug, das dich zurückholt in den Moment. Und ja: Es klingt abgedroschen. Aber probier’s mal aus. Nimm dir fünf Minuten und sei mit allem da. Ohne Handy. Ohne Ziel. Nur du. Du wirst merken: Die Zeit ist nicht schneller geworden. Du warst nur kurz nicht da.
Alt werden ist kein Verlust. Es ist eine Sammlung.
Jede Falte ist ein Satz. Jede Narbe eine Geschichte. Jede Stille eine Pause, bevor etwas Neues beginnt. Die Zeit nimmt nichts – sie formt. Und das, was sich verändert, bist du. Du wirst klarer, wählerischer, vielleicht auch leiser – aber nie weniger wertvoll. Es liegt an dir, ob du deine Jahre als Fluchtstrecke oder als Schatztruhe siehst.
Und ja – es geht schnell. Aber du kannst lernen, langsamer zu leben. Nicht mit Bremsen, sondern mit Bewusstsein. Mit Herz. Mit Mut zu Neuem. Und mit der Entscheidung, dein Leben wieder so zu gestalten, dass du abends ins Bett fällst und denkst: Das war ein Tag, den werde ich behalten.
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