Und plötzlich sind wieder zwei Jahre rum.
- Kilian Benno Moll
- 2. Mai
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 4. Mai

Ein persönlicher Text über Meditation, Yoga, Frust, Stille – und das, was wir schon längst haben.
Da sitzt man also. Vielleicht nicht zum ersten Mal. Vielleicht auch schon zum hundertsten. Auf einem Matte oder Kissen, das sich weich anfühlt und gleichzeitig etwas Festes verspricht. Der Rücken gerade, die Augen geschlossen, der Atem ruhig. Einatmen. Ausatmen. Loslassen.
So jedenfalls steht’s in den Büchern. Und in den Kursunterlagen. Und auf den ach so schönen Postkarten mit Sonnenaufgang und Spruch.
Und manchmal funktioniert es ja auch. Da wird der Atem tatsächlich tiefer. Die Gedanken etwas langsamer. Das Herz nicht mehr ganz so laut. Aber manchmal… manchmal sitzt man da, ganz brav, und denkt sich: „Irgendwie sitz ich hier schon wieder rum und fühl mich trotzdem nicht weiter.“
Die Welt ist voll von guten Ratschlägen. Atmen. Spüren. Loslassen. Oder: nichts tun. Ganz bewusst. Den Körper dehnen. Den Hund machen. In die Krieger-Haltung gehen. Yoga heißt das dann. Oder Bewegung mit Achtsamkeit. Auch das steht überall. Und auch das ist nicht falsch.
Im Gegenteil – es ist wunderbar, wenn man die eigenen Gelenke wieder spürt, wenn man merkt, dass die Hüfte sich öffnet, der Atem mehr Platz kriegt, die Gedanken nicht mehr so krampfen. Es ist gut, dass wir all das lernen können. Dass wir Räume schaffen, in denen auch der Körper mitreden darf. Nicht nur der Kopf. Nicht nur das Herz. Sondern alles – zusammen.
Neulich hab ich jemanden gefragt, was er im Yoga findet. Er saß da, sah mich an und sagte ganz ruhig: „Ich glaub… ich finde da meine Mitte. “Und dann schwieg er. Nicht, weil ihm nichts mehr einfiel –sondern weil das, was er meinte, schwer in Worte zu fassen war. Und trotzdem so echt war, dass man’s gespürt hat.
Ich wusste das eigentlich schon früh. Dass wir hier alles haben, was wir brauchen. Dass es nicht die weite Reise braucht, nicht die perfekte Umgebung, nicht den stillen Ashram* mit Meeresrauschen, nicht den Retreat auf Bali oder das Kloster in Nepal. Ich wusste: Ich muss nicht gleich nach Asien reisen, um mich zu finden. Und diesen Satz habe ich nicht nur gesagt –er wurde sogar mal gedruckt, in einer Zeitung, lange her. Weil er wahr war. Und weil er es immer noch ist.
Wir hatten das alles schon. Die Stille – nicht als Konzept, sondern echt, wenn der Regen gegen die Fensterscheibe prasselte und niemand etwas sagen musste. Die Bewegung – nicht in Form perfekter Asanas (Körperhaltungen im Yoga.), sondern beim Holztragen, beim Barfußlaufen durchs nasse Gras, beim Kochen mit Musik und offenen Fenstern.
Wir hatten die Gespräche, die unter die Haut gingen –nicht geplant, sondern einfach da, plötzlich, zwischen Tür und Kaffee oder Teetasse. Wir hatten das Lachen, das alles löst –diesen einen Satz, der im richtigen Moment fällt und die Schwere plötzlich in Leichtigkeit verwandelt.
Wir hatten Räume, die nicht groß sein mussten –aber offen. Wir hatten Menschen, die nicht perfekt waren –aber echt. Und wir hatten dieses leise, kostbare Gefühl: „Ich darf so sein, wie ich bin – jetzt.“
Manchmal reicht das. Mehr als jedes Flugticket, jede Buchung, jede Anleitung. Manchmal braucht es keine Reise –sondern nur den Mut, zu merken, dass man längst angekommen ist.
Ich finde: Es darf auch anders gehen. Man muss nicht immer still sein, um Klarheit zu finden. Man darf auch laut sein. Oder albern. Oder mutig. Oder ehrlich.
Man darf sich selbst eine Frage stellen, die keinen Räucherstäbchenduft braucht: „Was brauche ich wirklich – nicht spirituell, sondern menschlich?“
Vielleicht ist es ein ehrliches Gespräch. Oder ein neuer Impuls. Vielleicht auch eine Portion Humor – einer, der tief trifft, weil er die Wahrheit liebevoll auf den Punkt bringt. Oder ein verrückter Gedanke, der plötzlich alles dreht. Oder jemand, der nicht fragt: „Wie fühlst du dich damit?“ Sondern sagt: „Komm, steh auf – wir machen das jetzt anders.“
Wir haben alles, was wir brauchen. Nicht perfekt. Aber echt. Yoga, das nicht schön sein muss, sondern lebendig. Momente der Stille – und genauso Momente, in denen man schreit. Oder lacht. Oder beides gleichzeitig. Wir haben Räume, in denen du dich nicht anpassen musst, weil wir selbst längst aufgehört haben, in Mustern zu denken. Wir machen keinen Kurs aus dir. Sondern einen Menschen, der sich spürt – mit allem, was da ist.
Denn manchmal liegt die Wahrheit nicht im Loslassen – sondern im Zulassen. Nicht im Atmen – sondern im Tun. Nicht im Rückzug – sondern im echten Leben. Und vielleicht sitzt du dann irgendwann nicht mehr da und denkst: „Schon wieder zwei Jahre rum.“ Sondern du stehst auf und sagst:
„Jetzt. Und dieses Mal wirklich anders.“
*Ein Ashram ist ein spiritueller Ort, meist in Indien, an dem Menschen zusammenleben, meditieren, Yoga praktizieren und sich auf innere Entwicklung konzentrieren. Traditionell ist ein Ashram der Wohnort eines spirituellen Lehrers (Guru) und seiner Schüler. Es geht dort oft um Einfachheit, Disziplin, Stille und gemeinsames Üben – meist ohne Ablenkungen von außen.
Heutzutage reisen viele Menschen aus dem Westen in Ashrams, um sich eine Auszeit zu nehmen, zur Ruhe zu kommen oder intensiver mit Yoga und Meditation in Kontakt zu kommen.
In meinem Text ist „der stille Ashram mit Meeresrauschen“ also ein Bild für diese Sehnsucht nach dem perfekten Ort zur Selbstfindung – den man aber oft gar nicht braucht, weil so vieles schon da ist.
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